Hiob

Foto: Birgit Hupfeld
nach Joseph Roth
Für die Bühne bearbeitet von Johanna Wehner
Schauspielhaus
Premiere 07. Mai 2022
ca. 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
INHALT
Der fromme jüdische Lehrer Mendel Singer lebt mit seiner Familie im Russischen Reich. Diesen »einfachen Mann« schickt Joseph Roth in seinem Roman auf eine Odyssee: Mendels jüngster Sohn kommt schwer krank zur Welt, der älteste geht zum Militär, der mittlere verlässt die Heimat in Richtung Amerika. Als sich die Tochter mit den Kosaken einlässt, beschließt Mendel, ebenfalls zu emigrieren und mit ihr und seiner Frau in New York das Glück zu suchen. Schweren Herzens lassen sie den kranken Sohn zurück. Doch Mendel findet weder Heimat noch Glück. Im Gegenteil: Er verliert beide Söhne im Krieg, die Frau stirbt, die Tochter wird wahnsinnig. Verzweifelt sagt Mendel sich von dem los, was ihm geblieben ist: von seinem Gott. Und dann bringt eine Melodie ein unfassbares Wunder mit sich…
Johanna Wehner folgt Klängen, Stimmen und Fragen des Romans: Gibt es einen Plan – vom Leben, vom Glück, vom richtigen Leben?
Die Produktion wird ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain.
Gefördert vom Patronatsverein.
PRESSESTIMMEN
»Alle weben sie auf der Bühne an der Geschichte: Es gibt keine fixen Rollenzuweisungen, sondern in ihrer Erinnerungsarbeit schlüpfen die Schauspieler:innen spontan in Figuren, ergänzen einander, erzählen chorisch, dann wieder allein. Der Rhythmus des Abends komponiert sich maßgeblich über die präzise gearbeitete Sprache. Auffallend stark ist dabei die Dreierkonstellation Caroline Dietrich, Heidi Ecks und Agnes Kammerer; ihnen gegenüber steht ein verhältnismäßig langes, aber ebenso intensives Solo von Matthias Redlhammer nach der Pause. Die gemeinsame Erzählung kommt so nie zum Erliegen. […] Dabei wird der Abend immer dann stark, wenn er sich auf seine Geschichte konzentriert. "Ich liebe diese stillen Stunden", sagt Mendel wieder und wieder, wenn er an die gemeinsame, vergangene Zeit mit seinem jüngsten Sohn denkt; dieser Satz hallt nach. Am Ende ist "Hiob" ja auch eine Geschichte über Wunder der Kunst, wenn der tot geglaubte Menuchim in den USA als berühmter Orchesterleiter und Komponist wieder auftaucht- vielleicht als Urheber ebenjener reichen Klezmermusik, die Daniel Kahn und Christian Dawid für diesen Abend geschaffen haben. Ein Wunder, das nicht viel braucht, um zu wirken: eine klare Geschichte, geborgen aus der kollektiven Erinnerung- und Schauspieler:innen, die auf ihr Handwerk vertrauen.«
nachtkritik.de, 08. Mai 2022
»Ein Stück, das mit seiner Konzentriertheit auf die Vorlage und einem starken Ensemble zu überzeugen weiß. […] In Frankfurt wird diese Romanvorlage von sieben Ensemblemitgliedern erzählt: Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Stefan Graf, Agnes Kammerer, Nils Kreutinger, Christoph Pütthoff und Matthias Redlhammer. Sie übernehmen die einzelnen Figuren im permanenten Wechsel: Mal sprechen mehrere im schnellen Wechsel mit einer Stimme, mal ist es ein Chor, in dem sich mehrere zusammenfinden. So entsteht ein hohes Tempo, das die Schauspieler mit großartigem Timing erzeugen. Und gleichzeitig gelingt auf diese Weise eine verblüffend dichte Figurenzeichnung. […] Und genau diese Reduktion auf Darsteller, Sprache und die Vorlage sorgt für die emotionale Kraft, die das Stück entwickelt. Dabei ist die Wahl des Dramas durchaus ein Wagnis. […] Bei aller Stärke des Ensembles findet Matthias Redlhammer zu großer Form. Schmal, mit hängenden Schultern und unsicherem Blick verkörpert der Schauspieler einen Mann, mit dem das Leben es nicht gut meint. Einem Schicksalsschlag nach dem anderen ist er ausgesetzt, bis er mit dem Leben abschließt, ein lebender Toter, der nichts mehr wünscht und nichts mehr ersehnt. Doch ganz ohne Hoffnung kann das Leben nicht gelingen. Auch das zeigt dieser Mendel, zeigt diese Inszenierung, die ihr Publikum noch lange beschäftigen wird. «
Gießener Anzeiger, 10. Mai 2022
»Im zweiten Teil richtet sich der Fokus auf den großartigen Schauspieler Matthias Redlhammer als Mendel Singer. Das Ensemble bleibt weitgehend im Hintergrund. Das wirkt beinahe wie ein einziger langer Monolog. Und Redlhammer macht tatsächlich seine Figur in ihren Nöten, gegenwärtig.«
Frankfurter Neue Presse, 09. Mai 2022
»„Hiob" hätte schon vor einem Jahr Premiere haben sollen. Jetzt ist die Inszenierung von Johanna Wehner eine schlichte und ergreifende Einladung, sich dem Theater wieder zuzuwenden, wie sich das Theater seinem Publikum zuwenden möchte, indem es das tut, was es am besten kann. Eine Geschichte erzählen. Das Publikum in eine Geschichte verwickeln, in bewegtem Bild und lebendigem Ton. Mit leichter Hand, aber gut vorbereitet. Verspielt, aber durchdacht. […] Der Roman- wird nicht zum Dialogtext, deklamierend reichen die drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler ihn durch ihre Reihen. Unaufdringlich schälen sich die Figuren heraus. Ein gemeinsames Erzählen, Rekonstruieren, Erleben, virtuos das Spiel (wenn etwa Christoph Pütthoff in 30 Sekunden die Wunder der Moderne verlebendigt). Erst allmählich wird so aus Matthias Redlhammer tatsächlich Mendel Singer selbst, ein auch im Staunen noch lakonischer Mann. Heidi Ecks wird zu seiner Frau Deborah, und wie sich die Eheleute beiläufig und unwiderruflich fremd werden, ist gerade eines dieser Dramen des Lebens, bei denen einem niemand hilft. Eine Körperlosigkeit liegt ohnehin über allem, vielleicht eine Corona-Proben-Folge, aber mit einem in der fast tänzerischen Bewegungssprache bezaubernd geisterhaften Effekt. Agnes Kammerer und Caroline Dietrich werden gemeinsam zur Tochter Mirjam, ein wunderliches Zwillingspaar, so lebensfroh wie fragil. Nils Kreutinger, Pütthoff und Stefan Graf sind flexibel die Söhne Schemarjah, Jonas und (der kranke) Menuchim. Aber auch Kavaliere am Straßenrand. Wenig braucht ein Schauspieler, um dreist, dumm und gleich wieder ernst zu sein. Die großen Momente von Freude (selten) und von Leid (häufig), von Schrecken und Erkenntnis bringt das Ensemble wie in gemeinsamen Aufwallungen auf den Punkt. Wehners Genauigkeit zahlt sich hier aus. Es geht um Verzweiflung, es geht praktisch nie um Aggression, sehr analog zum Roman, sehr ungewöhnlich im Theater, das seine immensen Energien unlärmig zur Geltung bringt.«
Frankfurter Rundschau, 09. Mai 2022
»Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Stefan Graf, Agnes Kammerer, Nils Kreutinger, Christoph Pütthoff und Matthias Redlhammer in zurückhaltend historisierenden Kostümen werfen sich die Rollen zu wie Bälle, turnen bewegt über die Bühne. Ganz allmählich festigen sich die Konturen des Personenensembles, doch eines bleibt kollektiv herausgespielt: das Gedächtnis, die Erinnerung. Der Wechsel zwischen Erzähltem und Dramatisiertem gelingt, die Vielstimmigkeit von Perspektiven wird sichtbar; der Zauber der Sprache er schillert. […] Es gelingen aber immer wieder herzzerreißende, exquisite Miniaturen, so wie Heidi Ecks als Deborah die Flucht verweigert, weil sie ihr krankes Kind nicht zurück lassen will, so wie Christoph Pütthoff die Moderne in New York beschreit, bebrüllt gar, so wie Matthias RedIhammer letztendlich vom Glauben abfällt, um dann doch ein Wunder zu erleben. Unterstützt von einer feinen Lichtregie, ist es vor allem die klug austarierte Rhythmik, die die Inszenierung trägt.«
Strandgut, Juni 2022
Foto: Birgit Hupfeld
Ich liebe diese stillen Stunden.
AUDIO-EINFÜHRUNG