Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen!
Was ich sagen wollte

Foto: Thomas Aurin
von Elfriede Jelinek
Schauspielhaus
Uraufführung 20. Mai 2022
ca. 2 Stunden, keine Pause
TEAM
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Jana Findeklee, Joki Tewes
Komposition und chorische Einstudierung: Sven Kaiser
Choreografie/ Körperarbeit: Sabina Perry
Dramaturgie: Julia Weinreich
INHALT
Der Berg ruft und alle kommen: das Virus, der junge Fürst der Finsternis, Odysseus, Bill Gates und Circe, die große Zauberin. Bei ihr gibt’s Zaubertrank für jede:n und das Virus inklusive. Vom Après Ski geht’s direkt in den Hades, wo alle mit Blindheit geschlagen sind. – Wie blind kann man sein? Der Text selbst ist eine Odyssee der Wahrheitssuche inmitten einer Welt, in der »der Vorgang des Sehens vom Vorgang des Blindseins abgelöst« wird. In »Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!« rechnet Jelinek mit kruden Verschwörungsmärchen ab und lotet – in Zeiten von Pandemie und Populismus – die sich selbst bedrohende zivile Vernunft aus. Extra für das Schauspiel Frankfurt hat Elfriede Jelinek zudem einen neuen Text geschrieben: In »Was ich sagen wollte« geht es um den jähen Fall des als Wunderwuzzi gefeierten Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz, absonderliche politische Pfade und darum, wie die eigene unselige Geschichte immer wiederkehrt: Der alte Gott wird der neue sein.
Gefördert vom Patronatsverein.
PRESSESTIMMEN
»In Frankfurt ist es ganz klar die Inszenierung der Stunde. […] Sie meißelt nicht Corona, sondern Mythenbildungen heraus und fragt, was gesellschaftliche Strukturen damit zu tun haben. Das hört sich jetzt so papiern an, doch auf der Bühne, so wie Stefan Bachmann Elfriede Jelineks Text »Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! Was ich sagen wollte« inszeniert hat, der ja von der Pandemie handelt, aber eben nicht nur, ist es sinnlich, berührend, verzaubernd, in seiner Stilisierung fast zum Heulen schön wahrhaftig. […] André Meyer hat einen wundervoll poetischen Auftritt mit einer Sexpuppe. Und das alles geschieht im Rhythmus einer vom Metronom angeleiteten Klaviermusik, live (Sven Kaiser). Eine einzige Verzauberung, eine ganz wunderbare Ensemble-Leistung. […] Die Inszenierung ist es wert, mehrmals gesehen zu werden.«
Strandgut, Juli 2022
»Heidi Ecks, Melanie Straub, Agnes Kammerer und Susanne-Marie Wrage gelingt es punktgenau, jene wankelmütige Überzeugung darzustellen, von der der Text wortreich plappert; felsenfeste Annahmen herauszuplappern, die im nächsten Moment schon wieder fortgewischt werden von der nächsten Erkenntnis. […] Stefan Bachmann und dem Ensemble gelingt es, packende Bilder voller Ambivalenz zu schaffen für diesen «Lärm», Bilder, die unauflöslich zwischen Komik und Tragik, zwischen Lächerlichkeit und blankem Schrecken changieren. […] Zeitgeist, schmerzhaft auf den Punkt gebracht: Das ist Jelinek einmal mehr gelungen.«
Theater heute, Juli 2022
»Das Ensemble aus Heidi Ecks, Christina Geiße, Agnes Kammerer, André Meyer, Heiko Raulin, Melanie Straub und Susanne-Marie Wrage findet sich bestens in die unbequemen Rollen ein. Und Regisseur Stefan Bachmann hat die beiden ungelenken Texte in ein spannendes Spiel verwandelt. […] Ein kluger Theaterabend, der manches Mal auch weh tut beim Zusehen und Zuhören. Aber wie heißt es so schön: Nur was weh tut, bleibt im Gedächtnis.«
Main-Echo, 09. Juni 2022
»In "Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen! Was ich sagen wollte" verwebt Elfriede Jelinek Texte aus der Odyssee mit Phrasen der Corona-Pandemie sowie Texten und Bildern von Oskar Panizza, Martin Heidegger, René Girard und dem Fotografen Lais Hechenblaikner zu genialisch polyphonen Textskulpturen. Wie sie auf der Suche nach Wahrheit literarische Fäden spinnt, diese an Wirklichkeiten knotet, um so ein einziges großes Narrativ über die Beziehung von Pandemie und Populismus zu bauen, ist eine geistreiche und inspirierende Analyse der Gegenwart. […] Allmählich baut sich so die erste große Textwelle im Jelinek'schen Stil auf: monoton intonierte Phrasen, abgegriffene Sprachmuster, platte Floskeln. Bekannte Zitate der Corona-Verschwörungstheoretiker:innen verheddern sich unfreiwillig in Kalauern, bremsen sich in Assoziationswortkaskaden inhaltlich selbst aus. Jelineks Montagetechnik, die Klänge, Silben, Wörter lustvoll akkumuliert, um vor allem Konnotationen auf semantischen Meta-Ebenen explodieren zu lassen, zündet hier über knapp zwei Stunden aber ganz gewaltig. […] Wie viele andere Texte von Elfriede Jelinek ist auch dieser auf ein sehr klares Metrum gesetzt, das in seiner Höchstform anspruchsvoll in Form des schwingenden Hexameters daherkommt. aber von Regisseur Stefan Bachmann häufig auch triolisch intoniert wird. Man hört unfassbar gerne zu, weil Musiker Sven Kaiser Klavier-Klangflächen als Betten darunter legt, dann wieder Textstellen synthetisch dramatisiert und illustriert. Jelineks Text muss orchestriert werden. Stefan Bachmann kann das so gut! Die sieben Spieler*innen schaffen es, dem sperrigen Textunikum in seiner Pantarhei-Haftigkeit eine Struktur, Grenzen, aber vor allem einen über zwei Stunden tragenden Ton zu geben. […] Es zündet so Vieles in dieser Produktion: die absolut ästhetische minimalistische Drehbühne von Olaf Altmann, das fantastische Lichtdesign von Frank Kraus, der Soundtrack von Sven Kaiser, die lustvolle Plapperhaftigkeit des Textes und die stimmliche Orchestrierung durch Stefan Bachmann. Vor allem aber ist es die Klugheit dieses Textes, an der man sich richtig abarbeiten muss.«
nachtkritik.de, 21. Mai 2022
»So sarkastisch Jelinek die Spinnereien und Phantasmagorien rund um Corona ausmalt, so herrlich absurd fällt auch Bachmanns Umsetzung aus. Während die Schweine in besagte Vulva starren, futtern sie Popcorn oder kopulieren kurzerhand auf der Bühne. Derweil bekundet eins von ihnen in tiefstem kurpfeilzischen Dialekt seine Geilheit. In diesem Schauspiel kann eben niemand aus seiner Haut, erst recht nicht aus seiner vertrauten Echokammer. Auch deshalb dürfte sich die Regie für eine gigantische Rondellbühne entschieden haben. Indem sie sich permanent um die eigene Achse dreht, gibt sie nicht nur eine Metapher für das Verrühren von Gerüchten und Halbweisheiten ab, sondern spiegelt zugleich die endlose Selbstzirkularität von Erklärungs- und Verklärungsversuchen der Pandemie. Passend dazu wird das Spiel der mal im Chor, mal einzeln sprechenden Darstellerinnen (unter anderen Christina Geiße, Heidi Ecks und Heiko Raulin) mit einer beinah durchgängigen Livemusik von Synthesizer und Piano unterlegt. Ein Takt, der kein Entkommen zulässt.«
Der Freitag, 23. Mai 2022
»Es ist der Abend der beiden Kostümbildnerinnen, der Abend des Live-Musikers, der Abend des Bühnenbildners und der Lichtregie. Mehr noch ist es aber der Abend des siebenköpfigen Frankfurter Ensembles, das sich knapp zwei Stunden lang durch eine der typischen jelinekschen Textflächen fräst, die unmittelbare Gegenwart und mythische Vergangenheit, Tagesaktualität und Archetypisches amalgamieren. […] Sie (die Inszenierung) ist durchdacht, geschlossen, konsequent. Traumschön surreale Bilder entstehen. Das Ensemble - Heidi Ecks, Christina Geiße, Agnes Kammerer, Andre Meyer, Heiko Raulin und Susanne-Marie Wrage - ist fabelhaft, der Wechsel von Chorszenen zu Solopassagen gelingt geschmeidig.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Mai 2022
»Bachmann ist ein Jelinek-Spezialist, und man erlebt hier wieder, wie sagenhaft gut er sich in den vorliegenden Textkoloss, die vorliegenden Textkolosse eingegroovt hat, wenn man das einmal so sagen darf. […] Es ist aber auch ein furchtbar unterhaltsamer Abend. Eine brillante Ensembleleistung..«
Frankfurter Rundschau, 23. Mai 2022
»Es war eine großartige Inszenierung. Es gibt ja den Fall, man hat ein fulminantes Bühnenbild und das muss reichen, weil viele Regieeinfälle nicht mehr dazukommen, […] aber hier bei Regisseur Stefan Bachmann und seinem Team hat wirklich alles gepasst. Ein sehr erfahrener Regisseur auch ein Jelinek-erfahrener Regisseur. U Dieser bühnengroße Riesen Donut hatte einen Schauwert, und die Akteure im Schweinekostüm dazu waren vital und spielfreudig. Es gab einen atmosphärischen Wechsel, die Motive, die Beleuchtung, das Licht waren mal anheimelnd, dann gruftig, und es gab auch einiges zu entdecken bei dem großen Bogen von Homer bis heute. […] Die Kostüme waren mal eher Schuluniform, mal Schwein mit Tönnies Bezug, ein Wechsel zwischen Vers und Prosa. Da wurde viel geboten, und Stefan Bachmann hat aus diesen Textungetümen von Elfriede Jelinek wirklich einiges herausgeholt«.
hr2 - Frühkritik, 24. Mai 2022
»Die bissigen Passagen über den machtbewussten Schönling hat die österreichische Dramatikerin zwar für die Frankfurter Fassung neu zum ursprünglichen Theatertext hinzugefügt, trotzdem wirken sie nicht wie ein Fremdkörper. Das liegt an Stefan Bachmanns packender Inszenierung. Er setzt Jelineks hochkomplexes Sprachkunstwerk, das wie üblich aktuelle Politskandale und antike Mythen miteinander verwebt, schlüssig auf einer großen Einheitsbühne um. […] Insgesamt kämpft sich das herausragende Ensemble durch zwei intensive Stunden. Hinter dem Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! Was ich sagen wollte“ verbirgt sich eine Odyssee im Weltraum, die trotz ausklingender Pandemie so gar nicht veraltet wirkt. Ein wuchtiger Theaterabend, der staunen lässt.«
SWR2 - Journal am Mittag, 21. Mai 2022
»Stefan Bachmann gehört sicherlich zu den besten Jelinek Interpreten […]. Er greift ganz stark diese Bilder der Dekadenz auf. Wir sehen die Schweine, wie sie Popcorn in sich reinstopfen, wie sie kopulieren auf der Bühne. Wir sehen eine Figur , die dann aber wiederum, und das bringt dieses Changieren in dieser Inszenierung so wunderbar rüber zwischen den Stimmungen, auch tanzt in einem Tutu-Kleid. Und das Geniale ist doch, dass die Bilder auch bei Jelinek ganz stark angelegt sind. Die Stärke ihrer Stücke besteht darin, dass sie die Diskurse verfugt. […]Bachmann, und das finde ich sehr wunderbar, lässt auch der Sprache Raum. Er ballert nicht alles mit Bildern zu, sondern er lässt die Sprache auch wirken, sowohl im chorischen wie im Monolog. Es wird auf der Bühne gezeigt, wie sich solche Fake News eigentlich perpetuieren, es werden einfach ganz krude Zusammenhänge hergestellt […] und das ist eine fantastische Groteske, die daraus entstanden ist.«
Deutschlandfunk Kultur - Fazit, 20. Mai 2022
Foto: Thomas Aurin
Es besteht aber immer das Risiko, dass wir lügen, dass wir Sie anlügen.
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