Das Tove-Projekt

nach »Kopenhagen-Trilogie« und »Gesichter« von Tove Ditlevsen
Foto: Thomas Aurin
in einer Bearbeitung von Joanna Bednarczyk
Übersetzung der Theaterfassung von Olaf Kühl unter Verwendung der Tove Ditlevsen-Übersetzung von Ursel Allenstein
Schauspielhaus
Premiere 02. Juni 2023
ca. 3 Stunden, eine Pause
TEAM
Regie / Bühne: Ewelina Marciniak
Kostüme: Julia Kornacka
Choreografie: Dominika Wiak
BESETZUNG
Katharina Linder (Toves Mutter)
Uwe Zerwer (Toves Vater / Viggo F.)
Anabel Möbius (Krankenschwester / Frau Løngren / Die Vermieterin / Gitte)
Stefan Graf (Edvin)
Livia Newzella / Rebeka Turré (Toni / Hanne)
INHALT
»Ein Mädchen kann nicht Dichterin werden«, sagt der Vater zu der jungen Tove im Kopenhagener Arbeitermilieu der 1920er Jahre. Auch wenn diese Frau nie in die literarischen Kreise ihrer Zeit passte, so erarbeitete sie sich dennoch bereits in jungen Jahren Ruhm als Schriftstellerin. Tove Ditlevsen hat mit ihrer sezierenden Prosa die Fähigkeitgehabt, einer widrigen Wirklichkeit standzuhalten. Im Leben, und wenn nicht im Leben, dann in der Literatur. Mit schmerzlicher Offenheit bildet Ditlevsen den Kampf um künstlerischere Autonomie und eine Identität als Künstlerin, Frau und Mutter in ihren autofiktionalen Texten ab. In Dänemark eine der bekanntesten nationalen Autorinnen,
wurde sie erst vor kurzem von der Weltliteratur (wieder)entdeckt. Die Stückfassung für das Schauspiel Frankfurt von Joanna Bednarczyk speist sich aus den neu ins Deutsche übertragenen Werken Tove Ditlevsens: Der »Kopenhagen-Trilogie«, Tove Ditlevsens zentrales Werk und Erzählung ihres Lebens, und dem Roman »Gesichter«, in dem die Autorin die Wahrnehmungsverschiebungen einer Psychose mit großer Expressivität erfahrbar macht.
Die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak entwirft in ihrer ersten Arbeit am Schauspiel Frankfurt einen epischen Schauspielabend über die Frage nach weiblicher Souveränität und Künstlerinnenschaft. Die Erforschung von weiblichen Perspektiven in der männerdominierten Welt des Theaters ist der Regisseurin ein zentrales Anliegen.
Gefördert durch die Deutsche Bank Stiftung im Rahmen der »Autor:innenförderung«.
ENGLISH VERSION
“A girl can’t become a writer,” her father tells young Tove in working-class Copenhagen in the 1930s. Although she never fitted in with the literary circles of her time, even at an early age she would achieve some fame as an author. With her razor-sharp prose, Tove Ditlevsen had the ability to stand up to an adverse reality. In life, and if not in life, then in literature. In her auto-fictional texts, Ditlevsen describes her struggle for artistic autonomy and an identity as an artist, a woman and a mother with painful openness. One of Denmark’s most famous national authors, she has only recently been (re-)discovered by world literature. This dramatization for Schauspiel Frankfurt by Joanna Bednarczyk is based on the new German translations of Tove Ditlevsen’s works: The ‘Copenhagen Trilogy’, Ditlevsen’s central work and the story of her life, and the novel ‘Faces’, in which the author conveys how the experience of psychosis alters perceptions in extremely vivid terms. In her first work at Schauspiel Frankfurt, the Polish director Ewelina Marciniak creates an epic evening of theatre about the issue of women’s rights to control their own lives and be artists. Exploring female perspectives in the male-dominated world of the theatre is one of the director’s primary objectives.
PRESSESTIMMEN
»Ewelina Marciniak brennt ein theatrales Feuerwerk ab. Sie lässt die Riesenbühne des Frankfurter Schauspiels in mitunter atemberaubendem Tempo raumgreifend bespielen. […] Bei anderer Gelegenheit zieht Marcianak die Titelfigur während eines Partykrachers ohnegleichen in den Sog purer Freude am Dasein. Sprechtheater und Choreografie verbinden sich hier zu völliger Synthese. […] Julia Kornackas Kostüme durchmessen, wenn auch nicht immer chronologisch, Ditlevsens wenige Lebensjahrzehnte. […] Sarah Grunert ist Tove: Entschlossenheit, ihrem Ruf zu folgen, Trotz und tiefe Trauer vereinen sich bei ihr zu einem bezwingenden Rollenporträt, das die Langatmigkeit des Stücks immer wieder vergessen lässt. Faszinierender noch, wenn Grunert ihre Titelrolle verlässt, um als Spielerin der Tove facettenreich zwischen ernstem Raisonnement, Nonchalance und Ironie zu agieren. […] Mit der Titelfigur immer solidarisch verkörpert Caroline Dietrich deren beste Freundin Nadja. Auch alle weiteren Spielerinnen und Spieler tragen zur geschlossenen Ensembleleistung bei.«
die-deutsche-buehne.de, 3. Juni 2023
»Eine Würdigung epischen Ausmaßes hat Regisseurin Ewelina Marciniak mit ihrem „Tove-Projekt“ auf der Großen Bühne des Schauspiel Frankfurt für eine Schriftstellerin errichtet, […] Tove Ditlevsen. […] Sarah Grunert verkörpert Tove, und das ist ein Theaterglücksfall. Von der kindlichen, wach beobachtenden Hochbegabten bis zum einsamen Selbstmord, vom Kopenhagener Party-Girl zur gefeierten Lyrikern, von der lebenshungrigen jungen Frau bis hin zum psychischen Wrack: Grunert holt alle Längen des Abends wieder raus. Welcher Schmerz sich auf ihrem Gesicht bei der Abtreibung des zweiten Kindes abzeichnet, wie plötzlich sie aus der Rolle fällt und das ständige „Beurteilt-Werden“ der Titelfigur auf sich selbst als Schauspielerin anwendet - im spielerischen Gespräch mit dem Publikum - ist große Kunst. Vom Ensemble sticht Katharina Linder als Mutter heraus, die ihre Tochter nicht zu lieben vermag, und Uwe Zerwer als vom Arbeitsleben vernichteter Proletarier-Papa. Für Glamour und Spontaneität sorgt Caroline Dietrich in der Rolle der zuverlässigen Freundin Nadja.«
Frankfurter Neue Presse, 5. Juni 2023
»Tove Ditlevsen ist Sarah Grunert, die Feinsinn und Intuition zu bieten hat, eine immense Portion Selbstironie – die schönste und traurigste Art, mit Verzweiflung umzugehen – und eine umwerfende Spontaneität, die sie in den eingeschobenen improvisierten Szenen auch benötigt. […] Man glaubt ihr jedes Wort. Den Balanceakt zwischen Blamage und Selbstöffnung, eine Schauspielerin beherrscht ihn viel besser als eine Schriftstellerin […]. […] Eindrucksvoll ein Eingangsbild, das Toves Mutter, die wunderbar pragmatisch auftretende Katharina Linder, als Vermeers „Dienstmagd mit Milchkrug“ zeigt […].«
Frankfurter Rundschau, 5. Juni 2023
»Der Projektcharakter, den der Titel verspricht, erschließt sich im Verlauf der Aufführung, wenn sich zeigt, dass es Marciniak und ihrem Team um eine möglichst aufrichtige Auseinandersetzung mit der Person Tove Ditlevesen geht, um ernste Versuche der Annäherung. […] Je weiter der Abend fortschreitet, je mehr sich Tove dem Schreiben zuwendet und sich von der Umgebung der Kindheit entfernt, desto deutlicher scheinen die Akteur:innen auf der Bühne zu den Figuren aus Toves Leben eine persönliche, emotionale Verbindung aufzubauen. Dafür fügen sie Persönliches hinzu, treten aus der Rolle heraus, sprechen das Publikum an. Am deutlichsten verhandelt Sarah Grunert ihre Annäherung an Tove, die sie verkörpern soll, deren Körper sie aber, als er von psychischer Krankheit und Drogenkonsum gezeichnet ist, nicht mehr repräsentieren kann, wie sie sagt. […] Indem sich Grunert in der Szene selbst aufs Spiel setzt, sich selbst ein Stück weit exponiert, ihre Souveränität zwischenzeitlich einbüßt, schafft sie einen wunderbar fragilen Moment, der alles etwas wanken lässt und gerade darüber an Ditlevsens Leben rührt.«
nachtkritk.de, 3. Juni 2023
»Die Szene am Ende ist eine der Besten, weil in ihr etwas gelingt, […] und zwar diesen psychischen Ausnahmezustand, in dem sich diese Frau befindet, wirklich deutlich zu machen oder einen theatralen Ausdruck dafür zu finden. Diese Stimmen, die ihr sagen, dass sie nichts kann, während sie in einem psychotischen Zustand ist, greift einen wirklich an. […] Ich würde sagen, dass es auf jeden Fall ein bildstarker Abend ist. Die Bühne sieht aus wie eine Mondlandschaft. Es gibt ein Gewässer. […] Aber es ist auch eine Art Seelenlandschaft, und das Wasser dient als Metapher für das Unbewusste. […] Diese psychischen Ausnahmezustände auf einer Bühne zu spielen ist wirklich eine Kunst.«
Deutschlandfunk-Kultur, Fazit 2. Juni 2023
»Sie [Sarah Grunert] wird von ihrer Mutter weitgehend ignoriert, die den Bruder Edwin vorzieht, der sehr überzeugend von Stefan Graf verkörpert wird. […] Es gibt von Anfang an eine Verbindung, die zum Publikum hergestellt wird und eine Art Komplizenschaft. […] In diesem sehr weiten Saal im Schauspielhaus rückt dadurch alles ein bisschen zusammen. […] Es gibt auch ein fantastisches Bühnenbild. […] Es gibt ein raffiniertes Spiel mit Licht und Schatten durch das Wasser. […] Dadurch wird diese sehr harte, klassistische Erzählung immer wieder kontrastiert durch diese träumerische, eigene Welt, die die innere Sprachwelt der Tove Ditlevsen darstellen soll.«
hr2-Frühkritik, 9. Juni 2023
»Aber vielleicht ist es genau dieses Nichthineinpassen in eine Welt, das die Regisseurin damit ausdrücken wollte. Das Verlorensein, das Gefühl der Leere und Einsamkeit gewinnt dadurch. Das Wasser auf der Bühne multipliziert das noch. Das Ensemble agiert auf gewohnt hohem Niveau. Aber besonders Sarah Grunert als Tove berührt mehr als einmal an dem Abend. […] Wie ungeheuer fortschrittlich das für eine Frau in den 1960er Jahren war. Ohne sie zur Ikone zu machen, stellt die Inszenierung das heraus. […] So heftig unter die Haut kriecht das Stück. Und so lebendig ist in den drei Stunden diese seltsame Frau geworden.«
Main-Echo, 11. Juni 2023
»Das Ringen um Selbstfindung ist bei einer Autorin eines, an dem die Außenwelt teilnimmt, und für dieses Ringen findet Sarah Grunert eine der fragilsten und überzeugendsten Momente des ganzen Abends. Wie sie da in hautfarbener Unterwäsche am Bühnenrand steht und über das Gesehen-Werden, das Spiel mit Rollen als Schauspielerin spricht, überführt sie die Lebensfrage Tove Ditlevsens in eine unglaublich anrührende Bühnenpräsenz.«
Strandgut, Juli 2023
TRIGGERWARNUNGEN
Wir weisen Sie darauf hin, dass bei der Aufführung an einigen Stellen Stroboskoplicht zum Einsatz kommt.

Im Werk von Tove Ditlevsen und in der Inszenierung werden Sucht, psychische Erkrankung, Abtreibung und Suizid thematisiert. Wir informieren Sie darüber, weil diese sensiblen Inhalte bei Menschen mit einer traumatischen Vorerfahrung potentiell eine Retraumatisierung auslösen können.

We would like to point out that strobe light is used in some places during the performance.

Tove Ditlevsen's work and in the production thematize addiction, mental illness, abortion and suicide. We inform you about this because this sensitive content can potentially trigger retraumatization in people with a traumatic experience.
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