X-Räume

Denkraum mit Colin Crouch

Wut macht frei_Warum sind in unseren Demokratien Emotionen wichtiger geworden als Werte?
Chagallsaal
15. November 2017
MIT
Colin Crouch
INHALT

Denkraum

Die Redenreihe »Werte – aber welche?« ist eine Serie von sechs Debatten über das, was uns spaltet. Jede Debatte beginnt mit einem 30 bis 40 Minuten langen Impulsvortrag des eingeladenen Gastes. Im Anschluss daran diskutieren die Zuschauer in kleineren Gruppen untereinander und sammeln Fragen, die in einem anschließenden moderierten Gespräch die Rednerin oder der Redner beantworten soll. So entsteht ein partizipativer Diskursraum.

Colin Crouch

Colin Crouch ist britischer Politikwissenschaftler und Soziologe. Von 1985 bis 1994 war er Professor für Soziologie an der University of Oxford und von 1995 bis 2004 Professor für »Comparative Social Institutions« am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Seit 2004 lehrte er bis zu seiner Emeritierung als Professor für »Governance and Public Management« an der University of Warwick, England. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Gesellschaftsstrukturen in Europa mit besonderem Fokus auf Arbeitsmarkt, Gender und Familie.

Hintergrund

In unserem Zusammenleben pochen wir auf unsere freiheitliche Gesellschaft, die auf unserer Verfassung beruht. Deren Grundsteine wurden 1848 in der Paulskirche in Frankfurt gelegt. Das, was den Boden unseres gemeinsamen Zusammenlebens stiftet, verbunden mit einer Form der politischen Correctness, die wir uns durch die leidvollen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erarbeitet haben, droht sich mehr und mehr zugunsten eines Populismus aufzulösen. Das hohe Gut der Freiheit, das unsere Verfassung garantieren möchte, empfinden plötzlich viele als zu frei, wenn es darum geht, dass verschiedene nationale Herkünfte, Religionen, sexuelle Ausrichtungen, kulturelle Lebensformen uns spalten: In die Reichen und Armen, in die Gläubigen und Ungläubigen, in die Wutbürger und Gutmenschen, in die sogenannten Deutschen und die vermeintlich Fremden, in die sexuell freizügig anmutenden und die verschleierten Frauen ... Die Reihe dieser Spaltungen ließe sich fortsetzen. Wir alle berufen unsder Redner beantworten soll. So entsteht auf das gleiche Recht und wollen mit diesem Recht unsere doch ganz unterschiedlichen Werte behaupten.

Das, was Demokratie einmal war, die Vielheit in der Einheit, scheinen wir dabei zu vergessen. Plötzlich besteht unsere Gesellschaft aus lauter Zuschreibungen zwischen WIR und IHR. Wir, das sind die Einen – Ihr, das sind die Anderen. Dabei ist die Kultur des gemeinsamen Debattierens verloren gegangen. Wenn nicht mehr wirklich analysiert wird, in welcher Gegenwart wir uns befinden, woher plötzlich Gewalt und Wut in unserer Gesellschaft herrühren, wenn wir nicht wirklich die Ursprünge der bestehenden Unzufriedenheit genauer erforschen, dann wird aus der Beurteilung und Bewertung des anderen rasch ein Aburteilen. Wohin Slogans statt Debatten, Vorurteile statt Vertrauen führen, das lehrt uns die eigene Vergangenheit. Daher sind wir alle gefragt, für die politische Kultur unseres Landes Verantwortung zu tragen.